Ich wünschte, ich wäre nicht so sensibel
Den Wunsch, nicht so sensibel zu sein, werden wohl die meisten sensiblen Menschen kennen. Der Gedanke, dass mein Leben so viel einfacher wäre, wäre ich weniger sensibel, hat mich auch über lange Zeit begleitet und ich möchte darauf in diesem Artikel einmal näher eingehen. Denn inzwischen ist etwas passiert, was ich nie vor möglich gehalten hätte: Ich habe meine Sensibilität lieben gelernt und möchte sie nicht mehr missen.
Aufwachsen als sensibler Mensch
Als Schülerin und auch später im jungen Erwachsenenalter habe ich gegen meine Sensibilität angekämpft. Für mich hieß, sensibel zu sein vor allem: ausgeliefert zu sein, ständig zu weinen und nicht cool & schlagfertig reagieren zu können. Sie schien eine Ausschlusskriterium zu sein für all die Eigenschaften, die in unserer oberflächlichen Gesellschaft anerkannt waren.
Statt auf doofe Kommentare mit Witz und Schlagfertigkeit reagieren zu können, kämpfte ich mit Tränen. Doch nicht nur das - ich schien auch komplett anders zu denken als andere Menschen. All das schien mir sehr hinderlich - und ich hasste es, sensibel zu sein. Ich konnte dem Ganzen beim besten Willen nichts Positives abgewinnen. Auch wenn ich das Glück hatte, eine Mutter zu haben, die mir sagte, dass „Sensibel sein“ etwas Schönes ist - für mich war es für mehr als 20 Jahre meines Lebens eine Beleidigung, wenn jemand mich sensibel nannte.
Der Unterschied zwischen „sensibel sein“ und „leicht gekränkt sein“
Heute sehe ich das Ganze etwas anders. Im Folgenden möchte ich einige Erkenntnisse teilen in der Hoffnung, dir dabei zu helfen, deine Sensibilität neu zu bewerten und das Geschenk in ihr zu erkennen.
Ich lehnte meine Sensibilität vor allem deswegen ab, weil ich ihr die Schuld für meine Einsamkeit gab
Der erste Grund, warum ich meine Sensibilität nicht anerkennen konnte ist, dass ich sie verantwortlich machte für meine Einsamkeit. Mit der Sensibilität war die Angst verbunden, niemals echte Freundschaften knüpfen zu können. Die Ablehnung der Sensibilität kam also vor allem daher, dass ich dachte, sensibel zu sein bedeutet einsam zu sein und zu bleiben. Ungefähr das Gleiche also was ich dem „Introvertiert-Sein“ vorwarf. Später sollte ich feststellen, dass sich diese Abneigung gegenüber meiner Sensibilität und meiner eher introvertierten Art auflöste je mehr ich die Erfahrung machte, dass ich trotzdem akzeptiert und geliebt werde.
Die zweite Sache ist, dass in der Gesellschaft eine Verwirrung herrscht, zwischen „Sensibel sein“ und „leicht gekränkt oder verletzt sein“. Sensibel sein kann zwar dafür sorgen, dass man Kränkungen stärker spürt, ist aber nicht die Ursache der gekränkten Reaktion. Tatsächlich kann man sehr sensibel sein und gleichzeitig schwer kränkbar.
Es ist wichtig zu unterscheiden zwischen "sensibel sein" und "leicht kränkbar sein".
Der Unterschied zwischen "sensibel sein" und "schnell gekränkt sein" drückt sich zum Beispiel darin aus, dass man, ist man sensibel, sehr mitfühlend ist, in Filmen gerne mal weint und einem Ungerechtigkeit auf der Welt sehr nahe geht. Gleichzeitig bedeutet Weinen nachdem jemand einem einen blöden Kommentar an den Kopf geworfen hat eher, dass man starke verletzte Anteile in sich hat und sich selbst (noch nicht) genug liebt. Denn wenn man sich selbst genug liebt, können einen zum Beispiel diese Kommentare nicht so triggern - was nicht bedeutet, dass es okay ist, wenn Menschen sich respektlos verhalten! - ganz im Gegenteil. Aber es würde dich nicht auf die gleiche Weise treffen und du würdest auch nicht mit Tränen reagieren. Der Weg zur Selbstliebe kann ein langer Weg sein, denn uns wurde von den Medien, der Gesellschaft und oft auch von unseren Eltern über Jahre bis Jahrzehnte hinweg eingetrichtert, dass wir es nicht sind. Es gilt, diese Programme und Glaubenssätze nach ans Licht zu bringen und abzulegen.

Die Lösung zum Umgang mit Sensibilität
Der Umgang und die Akzeptanz mit der Sensibilität ist so ähnlich, wie mit allem anderen: Der erste Schritt ist es, sich zu akzeptieren und sich mitsamt seiner Sensibilität anzunehmen. Der zweite Schritt ist es, die Gaben, die mit ihr einhergehen zu entdecken. Und anstatt sich selbst auf Teufel komm raus ändern zu wollen, anzufangen, sich darum kümmern, die passenden Lebensumstände für sich selbst zu kreieren und die passenden Menschen zu finden, die eben diese Eigenschaft von einem nicht nur akzeptieren, sondern sogar lieben und wertschätzen.
Die Gaben der Sensibilität
Diese Welt wäre eine bessere, wenn Menschen rücksichtsvoller miteinander umgehen würden. Und sensible Menschen sind eben jene, die dafür sorgen, dass sich diese Welt mehr und mehr in diese Richtung bewegen kann.
Sensibilität schafft Verständnis und Verbindung
Sensibilität ist eine Superpower. Sie sorgt dafür, dass man Menschen auf tiefer Ebene verstehen kann. Sie ist ein wichtiges Tool, um wahre Beweggründe von Menschen ähnlich wie ein Detektiv aufzudecken und zu verstehen, welche Gefühle sicch wirklich hinter gesprochenen Worten verstecken. Außerdem hat Sensibilität das einzigartige Potential, das gegenseitige Verständnis auf dieser Welt auf ein neues Level zu heben.
Damit „Sensibel sein“ eine positive Wirkung in der Welt haben kann, ist es notwendig, eine gewisse Balance finden zwischen gesunder Abgrenzung, der Angewohnheit, seine Bedürfnisse und Gefühle zu kommunizieren und einer gewissen Nachsichtigkeit für die Unwissenheit und Programmierung vieler Menschen. Diese Einstellung zu etablieren ist nicht leicht, aber sie ist es absolut wert. Eines Tages wird man dafür belohnt mit echten, tiefen Freundschaften und Beziehungen, und mit einem Gefühl von Sinnhaftigkeit, von der viele andere nur träumen können.
Sensibilität als Frühwarnsystem
Neben dem Potential, Menschen und Beweggründe deuten zu können, kann Sensibilität dich auch frühzeitig warnen, wenn etwas nicht gut für dich ist, beispielsweise ein Job oder bestimmte Menschen. Indem du deine Gefühle würdigst, auf dein Bauchgefühl hörst, kannst du dir Umwege ersparen.
Deine Sensibilität warnt dich vor ungesunden Menschen. Oft ist es objektiv für den Verstand nicht wirklich zu greifen, warum wir uns in Gegenwart von bestimmten Menschen unruhig fühlen oder leer. Doch das Gefühl lügt nicht. Manche Menschen sind vorne herum „nett“ und hintenrum total manipulativ. Mit der Zeit wird man die Erfahrung machen, dem eigenen Bauchgefühl zu vertrauen und bestimmte Gesellschaft mit Vorsicht zu genießen.
Sensibilität "zwingt" uns sozusagen dazu, früher auf unsere Bedürfnisse und Gefühle zu hören, als das bei weniger sensiblen Menschen meist der Fall ist. Wir halten es gar nicht lange in einem toxischen Job aus und sind dadurch frühzeitig gezwungen, bessere Alternativen für uns zu kreieren. Und das wiederum sorgt dafür, dass wir früher als andere in einer Situation ankommen, die uns entspricht.
Spirituelle Gabe der Sensibilität
Gefühle sind die direkte Kommunikation zwischen unserer Seele und unserem physischem Selbst. Und wenn man das Ganze so betrachtet bedeutet höhere Sensibilität (nicht zu verwechseln mit „schnell gekränkt sein“), dass unsere Kanäle zu unserer Seele einfach viel offener sind. Das bedeutet, wir können die Botschaften unserer Seele deutlicher hören, was einfach wunderbar ist, oder nicht? Denn letztendlich sind wir doch hier, um einerfülltes Leben zu leben und nicht dafür, irgendwelchen Menschen, die ebenso (oder noch) verwirrt(er) sind als wir, zu beeindrucken.
Sensibilität als Türöffner für unsere spirituellen Gaben
Wusstest du, dass es zu jedem unsere Sinne wir Hören, Sehen, Fühlen, Riechen, Schmecken auch eine Erweiterung gibt? Ja, richtig gelesen. Es gibt nämlich auch das "Hellhören", "Hellsehen", "Hellfühlen" und sogar "Hellriechen" und "Hellschmecken". Wenn wir unser Bewusstsein weiter entwickeln, das heißt, unsere Schatten mehr und mehr integrieren, uns in eine höhere Schwingungsebene begeben (zum Beispiel mit Hilfe von Dankbarkeitsübungen) und anfangen, mehr und mehr auf unsere Intuition zu hören, werden wir irgendwann auch unsere Hellsinne zunehmend besser wahrnehmen können. Wenn du sehr sensibel bist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Schritt zu deiner "Superpower" nicht mehr weit ist. Hattest du Beispielsweise schonmal aus dem Nichts Gänsehaut, weil jemand etwas gesagt hat, was für dich bedeutend war? Das ist ein Beispiel für Hellfühlen. Ebenso ist Empathie eine Art des Hellfühlens - wenn du fühlst, wie es dem anderen geht, ohne dass er es dir sagen muss. Und es gibt noch unzählige weitere Arten und Beispiele, wie sich deine Hellfühligkeit zeigen kann. Du siehst, Sensibilität ist etwas ganz Besonderes und man könnte sogar sagen, sie zeugt von einem höher entwickeltem Bewusstsein.
Fazit
Ich hoffe, ich konnte dir mit diesem Artikel eine neue Sicht auf die Sensibilität geben und dich dazu inspirieren, sie mit der Dankbarkeit zu betrachten, wie ich es inzwischen tue. Sensible Menschen haben es in manchen Situationen schwerer, aber sie haben unvergleichliche Möglichkeiten sich selbst ein Leben zu kreieren, welches die Vorstellungskraft der meisten Menschen übersteigt. Du bist wunderbar, wie du bist.