Die INFJ Persönlichkeit
Was versteht man unter dem INFJ-Persönlichkeitstyp?
Ich konnte mich nie komplett einordnen in die Beschreibung „introvertiert“, warum?
Introvertiert bedeutet zum einen, dass man mehr Stille und Zeit alleine benötigt, um Energie aufzutanken und bei Interaktion mit vielen Menschen eher Energie verliert - so weit so gut, das stimmt.
Womit ich mich jedoch nie komplett indentifizieren konnte ist, dass man als Introvertierte(r) total wenig bis keinen sozialen Kontakt braucht.
Tatsächlich ist der soziale Kontakt für mich elementar und nicht verhandelbar, damit es mir gut geht. Klar - ich muss und kann nicht jeden Tage von morgens bis abends von Menschen umgeben sein. Aber: 1-2 Mal pro Woche Freunde zu treffen ist für mich tatsächlich ein gutes und wichtiges Maß.
Warum ist das so?
Ich denke, INFJs haben aufgrund ihrer Feeling-Funktion an 2. Stelle - Fe - das Bedürfnis, mehr unter Menschen zu sein als zum Beispiel Menschen, die stattdessen Te oder Ti (Thinking) an zweiter Stelle haben. Tatsächlich war und ist der Kontakt mit anderen Menschen für mich elementar um zu verstehen, wer ich bin. Denn als INFJ ist das Gefühl für die eigene Identität bei mir nicht besonders stark ausgeprägt (wobei ich inzwischen ein sehr gutes Gefühl für die eigene Identität entwickelt habe, nachdem ich mich selbst besser und besser verstanden habe.)
Natürlich spielt die „Qualität“ der sozialen Kontakt eine wichtige Rolle. Während oberflächlicher Kontakt mir nach kurzer Zeit die Energie wie eine Mücke das Blut aussaugt, gibt mir authentischer Kontakt Energie und inspiriert mich. Daher bevorzuge ich auch kleine Gruppen, in denen ich tiefere Gespräche führen kann. Gruppen mit zwei bis vier Leute sind bei mir meine absolute Lieblingskonstellation.
Dazu kommt, dass ich immer noch ein gewissen „Chamäleon-Anteil“ besitze. Ich kann, wenn ich mich wohlfühlen sehr kommunikativ sein und sogar für eine gewisse Zeit unter fremden Menschen. Anders als Menschen, die sehr introvertiert sind und auch in anderen Situationen wenige Worte nutzen, ist es bei mir situationsabhängig, wodurch sich auch der englische Begriff „ambivert“, eine Mischung aus introvertiert und extrovertiert für mich als passend herausgestellt hat.
Die unerklärbare erste Funktion des INFJs - und wohl auch der Grund, warum ich die Hälfte meines Lebens das Gefühl hatte, mich erklären zu müssen und nicht zu wissen wie, ist die introvertierte Intuition.
Ni nutzen INFJs die ganze Zeit und so natürlich, dass sie sie nicht mal bemerken, geschweige denn als Stärke erkennen. Nach Außen wirkt es wohl in vielen Fällen so, als wüsste der INFJ einfach Dinge, ohne zu erklären, wieso und als könnte er die Zukunft vorhersagen.
Ich habe mal eine Erklärung für Intuition im Gegensatz zu Sensing gehört, die es meiner Meinung nach gut trifft: „Sensor-Types sehen den Baum, während Intuitive den Wald sehen“
Statt sich auf Details und Feinheiten zu konzentrieren, sehen Intuitives das große Ganze.
Introvertierte Intuition würde ich so beschreiben, dass ich in meinem Inneren wie eine Art riesiges Netz habe, dass meine Weltanschauung und meine Erklärungen für verschiedenste Gegebenheiten und deren Zusammenhänge wiederspiegelt. Dieses Netz ergänze ich immer weiter durch neue Informationen und Erkenntnisse und verfeinere es. Auf diesen Wissensschatz greife ich zurück, wenn ich Antworten brauche. Für mich gibt es einen Sinn hinter allem und ich gebe nicht locker, bis ich ihn gefunden habe.
Extrovertiert Intuition, das was zum Beispiel ENFPs haben ist im Gegensatz die Möglichkeit, dass ganz viele Weltanschauungen und Erklärungen nebeneinander existieren und gerade das stetige Hinzufügen von alternativen Möglichkeiten und Anschauungen macht hier den Reiz aus.
Introvertierte Intuition ist eine Gabe, kann aber auch eine Gefahr sein. So kann man sich zu sehr, in der eigenen Weltanschauung verlieren, ohne sie je objektiv zu überprüfen und sie stetig weiter füttern und nähren, da sich die eigene Wahrnehmung ja immer auch den eigenen Glaubenssätzen anpasst.
Die Funktion Fe steht bei INFJs an zweiter Stelle, was sie sehr empfänglich für die Gefühle anderer macht. Dabei durfte ich im Laufe des Lebens feststellen (durch ehrliche Reflexion) dass Empathie, wie es bei INFJs verstanden wird und „einfühlsam sein“ nicht unbedingt das Selbe ist.
Fe bedeutet im Zusammenhang INFJ erstmal, dass man die Gefühle und Emotionen des Gegenüber stark wahrnimmt, in vielen Fällen stärker als die eigenen. So ist es eine Herausforderung zu erkennen, ob die Gefühle, die man als INFJ spürt die eigenen oder die des Gegenübers sind. Es kann zum Beispiel sein, dass jemand im Raum wütend ist und sich diese Wut wie eine Welle auf dich überträgt. Diese Eigenschaft des INFJs, Gefühle anderer so stark wahrzunehmen und damit auch alles Unangenehme ist in vielen Fällen ein Grund, warum INFJs so sehr auf Harmonie bedacht sind und in vielen Fällen beschwichtigend und als Mediatoren auftreten.
Es braucht in vielen Fällen einiges an Reflexion und etwas Lebenserfahrung, um mit Fe in einer konstruktiven Weise umzugehen. Weder ist es gut, Harmonie um jeden Preis kreieren zu wollen (z.B. auf Kosten der eigenen Bedürfnisse), noch selbst wütend und ungehalten zu werden, weil eine andere Person im Raum gerade eine große Wut verspürt.
Oft kostet es einiges an Arbeit, sich selbst emotional aus Situationen rauszuziehen und abzugrenzen und sich nicht mehr verantwortlich zu fühlen für die Stimmung anderer Menschen. Es gilt, Gefühle zulassen zu können, ohne sie auf sich zu beziehen oder sich dafür verantwortlich zu fühlen.
Erst wenn man es geschafft hat, gesunde Grenzen zu ziehen, kann man im nächsten Schritt seine Fähigkeiten konstruktiv einsetzen.
Dies kann so aussehen, dass man Gefühle und Bedürfnisse auf emphatische und konstruktive Art und Weise anspricht, zum Beispiel in Form von gewaltfreier Kommunikation.
Introvertiert Denken ist die dritte Funktion des INFJs. Ich würde sie so beschreiben: Es ist die Art, Situationen zu analysieren und eigene Erkenntnisse analytisch zu hinterlegen, wobei wir diese Informationen eher aus dem internen Wissen beziehen. Te wäre im Vergleich das Vorgehen, so viele Ansätze und Ideen wie möglich im Äußeren zu sammeln. Nicht so Ti.
Daher kommt wohl auch der bekannte Ni-Ti-Loop des INFJs, der in eine Art Aussichtslosigkeit führen kann, da der INFJ sich in diesem Fall auf die internen Informationen stützt und sich nicht genug Ausgleich von Außen holt, um das Ganze in eine gesunde Balance zu bringen. Folgerichtig sind auch die beiden extrovertierte Funktionen Fe und Se die Lösungen, dem Ni-Ti-Loop zu entkommen. Das heißt einfach gesagt: Sozialer Kontakt und Bewegung beziehungsweise Sport (was vielen INFJs am meisten Überwindung kostet, aber tatsächlich am wirkungsvollsten ist.)
Die am wenigsten ausgeprägte Funktion des INFJs, und zwar das körperliche Agieren in der Welt. In meinem Fall schon früh erkennbar, an einer unübersehbaren Tollpatschigkeit und einem Gewissen Vernachlässigen meiner Außenwirkung.
Ich sehe Se tatsächlich als einen der Dreh-und Wendepunkte im Leben eines INFJs. Ich denke, das Trainieren von Se ist elementar um einige der größten Stolpersteine des INFJs in den Griff zu bekommen - meiner Erfahrung nach die Außenwirkung. Man kann noch so emphatisch und klug sein, wenn man Probleme hat, klar zu kommunizieren oder zusammengekrümmt wie ein Shrimp auf dem Stuhl sitzt und damit Unsicherheit ausstrahlt ist das ein großes Problem.
Um am Se zu arbeiten hilft Bewegung und Sport sowie zum Beispiel auch seine eigene Stimme mal mit dem Handy aufzunehmen oder sich selbst zu filmen. Es ist eine riesige Überwindung und kann einen erstmal in eine Krise stürzen, doch nach dem ersten Schock wird es besser. Man lernt nicht nur, sich zu akzeptieren, sondern auch mit kleinen Änderungen seine Außenwirkung erheblich zu verbessern. Während ich früher regelmäßig als unsicher geframed wurde bekomme ich inzwischen immer öfter zu hören, wie kompetent ich rüberkomme - einfach eine Wohltat und eine Bestätigung, wie weit man mit ein wenig Arbeit an den richtigen Stellschrauben kommen kann.